Freiherr Franz von Dingelstedt (1814 - 1881), fünfter Teil

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In diesem Teil schaue ich noch einmal zurück auf die Jugendjahre von Franz Dingelstedt. Vor seiner Zeit als Gymnasiallehrer schrieb er das „Weserlied“. Und lange Zeit war nicht so recht klar, wo es entstanden ist. "(...) so glaubte sich fast jeder von Fremden besuchte Ort an der Weser zu der Behauptung berechtigt, dass Dingelstedt gerade in seiner Nähe so manches liebe Mal mit seiner Laute gesessen habe", wie es Dr. Hans Freytag in seiner Abhandlung "Das Weserlied von Dingelstedt" beschreibt.

Mittlerweile ist klar, dass das damalige Gasthaus Reese (heute Hotel/Restaurant „Altes Zollhaus“) im Rintelner Stadtteil Todenmann der Ort ist, wo Dingelstedt im Juli 1835 als 21-Jähriger sein in heutiger Zeit wohl bekanntestes Werk gedichtet hat. Den Anlass dazu gab seine Rintelner Jugendliebe Auguste Dunker, die ihm im selben Monat während eines achttägigen Ferien-Aufenthaltes in Rinteln eine schwere Enttäuschung bereitete. "Hole sie der Teufel", schreibt er in einem Brief an seinen Freund Julius Hartmann, "wenn sie mich bloß necken und reizen will. Wenn sie aber nur durch dumme Redensarten anderer Leute und durch eine seltsame Furcht vor meinem sogenannten Spott (...) von mir entfernt wird, (...) und nur nicht glauben will, was ich ihr sage, dann hole der Teufel sie und mich und die ganze Welt."

Am 10. Mai 1835, also nur wenige Wochen bevor er das Weserlied dichtete, schildert Franz Dingelstedt in einem Brief an einen Marburger Studiengefährten seinen Gemütszustand: "Ja, ich liebe sie (...). Oft habe ich geglaubt, ich könnte ihr wohl ein Dasein schaffen, wie es ihrer wert wäre und meiner unaussprechlichen Liebe für sie entspräche. Ach, ich male mir das Bild noch recht oft aus, wie sie mein sein könnte und ich sie beglücken wollte und verewigen in meinen Liedern, wie ich endlich Liebe fände und Ruhe, nach denen ich so lange gejagt, an ihrer Brust, diese Bilder beschaue ich im stillen Lichte des Monds, dann aber rüttle ich mich auf und rauche Tabak, damit ich meinen Tränen einen anderen Grund geben kann. - - Die Liebe ist nur eine Wasserpflanze, da schwebt sie auf dem dunklen Grund der Phantasie und Poesie, und die grünen Blätter schauen uns lockend an wie eine ferne Hoffnung, dann kommt auch eine große, wunderherrliche Blume voll Duft und glühender Farbe zum Vorschein. Du beugst dich, um sie zu erreichen, da versinkt sie auf immer in die düstere Tiefe - - Du stehst wie ein weinendes Kind am Ufer des Teiches, und die Frösche gucken dich mit frechen, prosaischen Blicken an und lachen dich aus und quäken und begatten sich."

Am Tag vor seiner Abreise aus Rinteln verabschiedete er sich dann von seiner Jugendliebe. "Als ich mit ihr von Todenmann herunterging, da habe ich (...) ihr suchend in das klare, geistvolle Auge geblickt, ob´s mehr könne als scharf gucken und blitzen, und habe ihr ganzes süßes Bild noch einmal recht lebendig und warm in die durstende Seele aufgenommen. (...) Und am folgenden Morgen saß ich im Wagen - und der Rintelnsche Turm versank, und die vaterländischen Berge versanken (...) und mein Haupt fiel nieder auf meine Brust und eine Träne nieder auf meine Hand und ein Name nieder von meinen Lippen. - - Vergessen wird sie mich!"

Diese Gemütsverfassung, diese Hoffnungen, Träume, Enttäuschungen und Verwünschungen kommen auch in seinem Weserlied zum Ausdruck:

Weserlied

Hier hab' ich so manches liebe Mal mit meiner Laute gesessen,
hinunterblickend in's weite Tal mein selbst und der Welt vergessen.
Und um mich klang es so froh und hehr, und über mir tagt es so helle.
Und unten brauste das ferne Wehr und der Weser blitzende Welle.

Wie liebender Sang aus geliebtem Mund, so flüstert es rings durch die Bäume,
und aus des Tales off'nem Grund begrüßen mich nickende Träume.
Und um mich klang es so froh und hehr, und über mir tagt es so helle.
Und unten brauste das ferne Wehr und der Weser blitzende Welle.

Da sitz' ich auf's neue und spähe umher und lausche hinauf und hernieder,
Die holden Weisen rauschen nicht mehr, die Träume kehren nicht wieder.
Die süßen Bilder, wie weit, wie weit! Wie schwer der Himmel, wie trübe!
Fahr' wohl, fahr' wohl, du selige Zeit! Fahrt wohl, ihr Träume der Liebe.

Der Sohn des damaligen Besitzers des Gasthauses Reese erinnerte sich noch genau an eine Fensterscheibe, in der die Zeilen "Hier hab ich so manches liebe Mal mit meiner Laute gesessen" eingeritzt waren. Diese Scheibe befand sich in einem in Richtung Weser gelegenen Saalfenster des Gasthauses. Und neben dem Wort "Laute" war außerdem ein kleines Schnapsglas in die Scheibe gekritzelt. Die Scheibe zerbrach bei einer Feier und wurde achtlos weggeworfen. Man ahnte ja nicht, welche Bedeutung diese Scheibe später noch erlangen würde. Zudem war das Gedicht zu dieser Zeit auch noch nicht vertont.

Der ehemalige Marburger Oberbürgermeister Dr. Schüler, der wie Dingelstedt seine Jugendjahre in Rinteln verbrachte und dort ebenfalls das Gymnasium besuchte, bestätigt in einem Brief vom 13. März 1925 an Reinhold Börner, einem der Autoren der "Heimatblätter", dass auch er die erwähnte Scheibe selbst gesehen hat. Er schreibt: "Mein Vater wurde 1839 nach Rinteln versetzt. Unsere Wohnung lag an der Ritterstraße unweit der des außergewöhnlich großen Klostervogts Dingelstedt, des Vaters des noch größeren Franz Dingelstedt. Letzterer kam öfter zum Besuch seines Vaters nach Rinteln, (...). Schon damals war das Gasthaus der Tante Reese von Rinteln aus, insbesondere von den Beamtenfamilien, die dort eine Tasse Kaffe tranken und von den Gymnasiasten, die die Kegelbahn in Beschlag nahmen, viel besucht. Zu den letzteren gehörte auch ich von 1846 bis 1855. (...). In der unteren Fensterscheibe des der Eingangstür gegenübergelegenen Fensters, wo man die in vielen Windungen vorüber fließende Weser und das Wesertor mit dem darüber erbauten Hauptzollamt und die Brandsche Mühle mit der dahinter liegende, durch den hohen Wall der ehemaligen Festung halb verdeckten Stadt Rinteln vor Augen hatte, waren die Worte mit Hilfe eines Schaumburger Diamanten (…) eingekritzelt: "Hier hab ich so manches liebe Mal mit meiner Laute gesessen". Links daneben war das Bild eines Schnapsglases eingekritzelt. Diese Verschandelung des Fensters interessierte mich hauptsächlich aus dem Grunde, weil angeblich Franz Dingelstedt selbst den Vers und unser Lehrer der französischen Sprache Dr. Lobe, der mit Dingelstedt verfeindet war, das Schnapsglas eingekritzelt hatten!"

In seinem Brief schildert Dr. Schüler dann noch näher das feindselige Verhältnis zwischen dem Lehrer Dr. Lobe und Franz Dingelstedt, der ihn in seinem späteren Roman "Die neuen Argonauten" als "Dr. Lobhudel" eine unrühmliche Rolle spielen lässt.

Adolf Pressel vertonte 1845 das Weserlied. Er wurde am 15. Juni 1827 als Sohn eines Pfarrers in Tübingen geboren. Auch er studierte zunächst Theologie und war bereits als Pfarrvikar tätig, als er sich endgültig der Musik verschrieb. 1868 zog er nach Berlin und verdiente sein Geld mit Honoraren für seine Kompositionen sowie als Mitarbeiter musikalischer Zeitschriften und als Musiklehrer. Das Weserlied war ursprünglich mit etwas verändertem Text in die Oper "Johannisnacht" aufgenommen worden, die damals im süddeutschen Raum mit großem Erfolg aufgeführt wurde. Pressel verkaufte die Komposition dann als selbstständiges Lied für 30 Gulden und ohne weitere Tantiemen an einen rheinländischen Musikverlag, der später nach Berlin umsiedelte und damit viel Geld verdiente. Richtig populär wurde das Weserlied erst nach 1870, als der Berliner Opernsänger Krolop bei den Potsdamer Hofkonzerten den alten Kaiser für die Weise begeisterte und sie zu dessen Lieblingsmelodie machte.

Fortsetzung folgt

Meine weiteren Beiträge zu Franz Dingelstedt:
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Bürgerreporter:in:

Horst Becker aus Wohratal

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